Randgruppen - die sozialen Seiten der Natur [Panel #32]
vendredi, 1. juillet
13:30 jusqu'à 15:00 heures
Salle M 1150
Natur ist nicht für alle Menschen gleich. Seit der Industrialisierung und Urbanisierung im 19. Jahrhundert avancierte Natur zur umkämpften Ressource, die soziale Ungleichheitsverhältnisse hervorbrachte, verstärkte oder mitunter verringerte. Koloniale und ökonomische Interessen spielten dabei eine ebenso zentrale Rolle wie sozialregulierende Absichten und damit einhergehende In- und Exklusionsprozesse. Von den durch menschliche Eingriffe in die Natur hervorgerufenen Veränderungen wie schwindenden Naturlandschaften, der Kontaminierung der Umwelt mit Giftstoffen und der Klimaerwärmung waren Menschen besonders betroffen, die am Rande der industrialisierten Welt lebten. Sie spürten als erste, wie ihr Lebensraum schrumpfte, ihre Lebensgrundlage versiegte und sie ihr bisheriges Leben umstellen mussten. Zuweilen eröffneten sich ihnen aber auch neue Möglichkeiten. Welche Folgen Umweltzerstörungen, klimatische Veränderungen sowie die Reduktion von naturnahem Leben für die spezifische Lebenslage von Randgruppen vom 19. bis ins 21. Jahrhundert hinein hatten, bildet die leitende Fragestellung dieses Panels.
Drei Randgruppen, die im Panel diskutiert werden, haben ein intensives Verhältnis zur Natur, weil sie in ihr leben wollen oder müssen: Cree-Indigene in Kanada, Obdachlose in Deutschland und Menschen mit Behinderungen in den anthroposophischen Camphill-Dörfern. Von Umwelteinflüssen und Wetterphänomenen besonders betroffen, lassen sich an ihnen positiv konnotierte wie destruktive Seiten des Zusammenwirkens von Natur und Kultur erforschen: Während den Cree die Natur jahrhundertelang als Lebensgrundlage gedient hatte, die von den euro-kanadischen Siedlern im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts immer weiter beschnitten wurde, zwang der Verlust der Wohnung Obdachlosen ein Leben in direkter Konfrontation mit der Natur auf. Bei den Menschen mit Behinderungen verhielt es sich ambivalent: Manche lebten freiwillig in den Camphill-Einrichtungen, andere wurden dorthin verbracht. Dementsprechend differierten ihre Naturwahrnehmungen. Im Mittelpunkt stehen die vielschichtigen und auch innerhalb der jeweiligen Gruppe ambivalenten wie kontingenten Wahrnehmungen und Bezeichnungen von Natur. Im Zusammenspiel mit denjenigen, die über sie und ihre Umwelt bestimmten, scheinen soziale Ungleichheitsverhältnisse auf, die Natur als umkämpfte Ressource zeigen: Wenn die Cree in Kanada zugunsten von Naturparks aus ihrer indigenen Heimat und Obdachlose aus ihrem Zufluchtsort Stadtpark weggewiesen wurden, um den Städtern ein ungestörtes Naturerlebnis zu ermöglichen, stellen sich Fragen nach den Funktionsweisen eines «Green Colonialism» und einer Freizeitgesellschaft, die Naturerfahrungen nicht mit Randgruppen teilen wollte. Eine weitere inhaltliche Klammer bildet dabei das Ziel, Randgruppen sesshaft zu machen und damit in die Dominanzgesellschaft zu integrieren. Überdies werden Widerstandshandlungen der Betroffenen sichtbar gemacht, bei denen über Naturnutzung und -wahrnehmungen gestritten wurde.
Responsabilité
Intervenant-e-s
Interventions
- Camphill: Behinderte Menschen und die naturalisierte Kulturkritik der Anthroposophie in europäischer Perspektive, 1930er-1980er Jahre
- Ishkoonigan – Reste des Landes. Die Zwangsassimilierung der Mushkeegowuk in Kanada
- In die Natur gezwungen? Obdachlose und ihr Verhältnis zur Natur im Deutschland des 19. und 20. Jahrhunderts